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Beitrag vom 26.07.2008
Antisemitistische Realitäten im Deutschland von heute
Sharon Adler
Freispruch für antisemitische Äußerungen. Sportwissenschaftler Arnd Krüger verbreitet öffentlich und ungestraft faschistoide Thesen. Ex-Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem will Holocaust-Leugnung
nicht strafrechtlich verfolgen lassen.
"Ich würde als Gesetzgeber die Holocaust-Leugnung nicht unter Strafe stellen", so der ehemalige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem. Darüber hinaus äußerte er sich ablehnend, was die Strafbarkeit der Verwendung von Darstellung und Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen angeht. Brisant ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass Hoffmann-Riem während seiner Tätigkeit als Bundesverfassungsrichter am 07.12.2004 mitverantwortlich für die Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen war.
Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, kritisierte die Äußerungen von Ex-Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem scharf. Es sei "unverantwortlich, dass sich eine Koryphäe der Rechtswissenschaft beim Thema Holocaust-Leugnung solche Kapriolen leistet", sagte Kramer dem "Tagesspiegel".
Nachdem Wolfgang Hoffmann-Riem sich auf einer Veranstaltung des Wissenschaftszentrums Berlin Anfang Juli 2008 öffentlich dagegen ausgesprochen hat, die Bestreitung des Holocausts zu bestrafen, ist nun ein weiterer antisemitistischer Ausfall ungestraft geblieben.
Der Sportwissenschaftler Arnd Krüger, seit 1999 Direktor des Sportwissenschaftlichen Instituts der Universität Göttingen, hatte auf der Jahrestagung der dvs-Sektion Sportgeschichte "Sportgeschichte erforschen und vermitteln" Mitte Juni 2008 behauptet, die 1972 beim Olympia-Attentat getöteten israelischen Athleten seien "freiwillig gestorben, um die Schuld Deutschlands gegenüber dem Staat Israel zu verlängern".
Seine "These" brachte er damit in Verbindung, dass die Abtreibungsrate in Israel bis zu zehn Mal höher sei als in anderen westlichen Industrienationen.
Nun wurde er von der eingesetzten Ombudskommission freigesprochen.
Die Kommission, zusammengesetzt aus drei Wissenschaftlern der Universität Göttingen, veröffentlichte folgendes Urteil: "Eine antisemitische Einstellung ist weder expliziter Bestandteil der Thesenbildung, noch sind die gefundenen Thesen ohne eine antisemitische Tendenz unvertretbar. Die von Prof. Krüger vertretenen Thesen unterfallen folglich dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit (Art.5 Abs.3 S 1GG)".
Dass Juden und Jüdinnen oder Israelis auf deutschem Boden ermordet werden, ist bekannt. Auch, dass sie nach Ansicht alter und neuer Nationalsozialisten selbst Schuld daran seien, durch ihre Arroganz, ihre Intelligenz und natürlich wegen des unermesslichen Reichtums, so der Tenor antisemitistischer Parolen.
Arme oder durchschnittlich intelligente Juden kommen nicht vor im deutschen National-Denken.
Zum Leid der Opfer und deren Hinterbliebenen, die bis heute keinerlei offizielle Entschuldigung seitens der Bundesregierung erhalten haben, muss dieses Urteil gegen beziehungsweise für Professor Arnd Krüger als doppelte Hohn empfunden werden.
"The Games must go on", sagte 1972 nach den traurigen und skandalösen Ereignissen der damalige IOC-Präsident Avery Brundage und ließ die Spiele einen Tag nach dem Massaker an den elf israelischen Sportlern fortsetzen.
Diese Haltung hat sich anscheinend bis heute nicht verändert.
Immerhin distanziert sich das Präsidium der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) ausdrücklich von den grotesken Behauptungen von Prof. Dr. Arnd Krüger. Die vollständige Erklärung des Präsidiums der dvs vom 3. Juli 2008 finden Sie als PDF zum Download unter:
www.sportwissenschaft.de
Auch zum Thema Holocaust-Leugnung von Ex-Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem haben PolitikerInnen parteiübergreifend davor gewarnt, das Strafrecht zu entschärfen.
Falls auch Sie Stellung beziehen möchten, schicken Sie Ihre Unmutserklärung direkt an Prof. Arnd Krüger. E-Mail: akruege1@gwdg.de und im Fall von Ex-Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem an: bverfg@bundesverfassungsgericht.de
Those Games must not go on! Wenn in Hinterzimmern nationalsozialistische und antisemitische Parolen mit sehr viel deutschem Bier heruntergespült werden, ist das wohl kaum vermeidbar. Dass jedoch Personen wie Hoffmann-Riem oder Krüger vom Podium herunter den braunen Sumpf aller Schattierungen gesellschaftsfähig machen wollen, sollte umgehend sanktioniert werden.
Weitere Informationen und Reaktionen zum Thema:
Georg-August-Universität Göttingen am 3. Juli 2008:
Diese Stellungnahme vervollständigt die Erklärung des Präsidiums der Georg-August-Universität Göttingen vom 30. Juni 2008
Die Tagung, auf der Prof. Arnd Krüger seine grotesken Ansichten vorgetragen hat:
"Sportgeschichte erforschen und vermitteln" - Jahrestagung der dvs-Sektion Sportgeschichte, 19.-21. Juni 2008 in Göttingen
Eine umfassende Dokumentation des "Falls Prof. Arnd Krüger" des Präsidiums der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs)
Jerusalem Post, 29.06.2008
Spiegel-online, 28.06.2008
Zentralrat der Juden in Deutschland, 01.07.2008
Süddeutsche Zeitung, 30.06.2008
Haaretz, 01.07.2008
Lisas Welt - Blog, 02.07.2008
Israel Matzav - Blog, 28.06.2008
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
"Feindbild Judentum - Antisemitismus in Europa". Herausgegeben von Lars Rensmann und Julius Schoeps
"Neuester Antisemitismus-Skandal in Berlin" von Benjamin Weinthal.
Antisemitismus in Deutschland
(Quellen: Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, Zentralrat der Juden in Deutschland)